Über Klassiker

Mark Twain soll einmal gesagt haben ein Klassiker sei ein Buch, das jeder lobt aber keiner liest. Da ist viel Wahres dran. Doch woran liegt es? Wie kann es sein, dass alle zustimmen ein Buch sei großartig, aber keiner will es lesen? Und sollte man Sie überhaupt noch lesen? Oder sind es nur veraltete Schinken ohne Mehrwert, überholt durch neues und besseres?

Um die letzte Frage gleich zu beantworten: Einen Klassiker zu lesen bereichert den Leser immer. Da gibt es keine Ausnahme. Egal, welchen Klassiker man liest, von Homer zu Doyle, von Xenophon zu Shakespeare, von Thomas Mann zu Hemingway, alle geben Sie dem Leser etwas Besonderes mit für sich und sein Leben. Da ist es egal, ob man alte Epen wie die Edda, Beowulf oder Gilgamesch liest, ob man alte religiöse Texte studiert oder die Lebensweisheiten der Altvorderen liest, Sie alle haben etwas, was dem Menschen hilft. Sie geben Halt, geben uns Vorbilder. Wir fliegen heute sogar zum Mond, aber der Mensch selbst hat sich nicht verändert. Liebe, Hass, Freude, Trauer, Betrug, Ehre, das alles und noch viel mehr bestimmt heute unser Leben genau so sehr wie damals, als der Mensch zum ersten  Mal seine Höhle verließ.

Die größte Stärke alter Klassiker ist, etwas grundsätzlich menschliches zu berühren und uns einen Rat für unser Leben zu geben. Sie eröffnen uns die Chance, in wenigen Stunden die Erfahrungen zu machen, die ein anderer sein ganzes Leben gebraucht hatte, um Sie zu machen. Und die Ihm so wichtig erschienen, dass er Sie für andere niederschreiben musste.

Aber man holt sich so nicht nur guten Rat aus der Vergangenheit, verbessert so sein Leben. Man wird auch Teil der „Great Conversation“. Plötzlich hat man eine gemeinsame Basis für Diskussionen mit anderen gebildeten Menschen, hat gemeinsame Referenzpunkte. Man kann viel exakter über Dinge reden, da alle die gleiche Basis haben und kann neue Gedanken auf feste Fundamente setzen.

Wer Goethes Faust gelesen hat kennt die wahre Bedeutung der Redewendung „Das ist des Pudels Kern“. Die verbotene Frucht, den Rubikon überqueren, Danaergeschenk sind andere Beispiele. Redewendungen wie diese halten manche für Arrogant. Da will sich nur jemand aufspielen heißt es dann. Doch Sie haben einen viel tieferen Nutzen. Redewendungen verdichten die ganzen Facetten und Weisheit einer Geschichte auf kurze, leicht zu merkende Sätze. Wer das zugehörige Werk gelesen hat, dem werden mit so einer Redewendungen plötzlich wieder alle Aspekte des Werkes in Erinnerung gerufen. Doch wenn Klassiker solche Wunderwerke vollbringen, warum liest Sie dann keiner?

Viele lesen Sie einfach nicht, da Sie alt sind. Der Mensch denkt generell, dass etwas neues besser ist, als etwas altes. Es muss schließlich besser sein, dank  neuer Technologien und Erkenntnissen lautet die These.

Doch gerade, dass ein Klassiker nicht neu sein kann ist eigentlich, was Ihm Wert verleiht! Jedes Jahr kommen Millionen neuer Bücher auf den Markt, die ebenso schnell wieder verschwinden, wie Sie gekommen sind. Meist ist es nur eine Auflage und ist diese vergriffen ist das Buch nur noch gebraucht zu finden. Wenn überhaupt. Ein Klassiker hingegen ist ein Buch, welches immer wieder gekauft und gelesen wird, durch Generationen hindurch. Einfach, da es etwas Besonderes enthält. Etwas, was es über aktuelle Mode und kurzfristige Strömungen hinweg hebt. Eine Wahrheit, die so universell ist, dass Sie ebenso richtig und anwendbar ist für einen Toga-tragenden Bauern in der Antike wie für einen Flugzeug bauenden Techniker von Heute.

Und so macht es uns der Klassiker einfach. Wir müssen uns nicht durch eine unendliche Flut von neuen Publikationen mit zweifelhafter Qualität wälzen. Stattdessen vertrauen wir auf eine kleine Selektion von Büchern, welche teils durch hunderte Generationen hindurch immer wieder aufs neue auf Ihren Wert geprüft und dann für wertvoll genug befunden wurden, neu abgeschrieben oder gedruckt zu werden.

Die Liste der für uns bedeutungsvollen Autoren der gesamten römisch-griechischen Antike ist zum Beispiel ziemlich gering: http://www.hup.harvard.edu/features/loeb/timeline.html

Ein Problem sind jedoch alte Übersetzungen, denn oft sind wirklich alte Werke nur in einer Übersetzung erhältlich, die selbst schon an die 200 Jahre auf dem Buckel hat. Kein Wunder, dass kaum einer mehr liest, was uns die westliche Antike für Schätze hinterlassen hat! Oft ist in solchen Übersetzungen der Sprachgebrauch schon so von dem jetzigen entfernt, dass es anstrengend werden kann, es zu lesen. Die Homer Übersetzungen von Johann Heinrich Voss ist zwar sprachlich immer noch schön, aber eben auch fordernd zu lesen für den heutigen Menschen. Soll man dann einfach auf eine neue Übersetzung warten, hoffen? Eher nicht. Lieber sich durch alten Sprachgebrauch kämpfen, als es erst gar nicht zu lesen. Außerdem sollte man immer eine alte, aber originalgetreue Übersetzung einer neueren, die sich Freiheiten in der Übersetzung nimmt oder gar Teile als „unwichtig“ entfernt (alles schon erlebt) vorziehen. Meist gewöhnt man sich an die Art der Übersetzung innerhalb der ersten 5-10 Seiten und dann liest es sich ganz angenehm. Es ist nur die erste Seite, die so abschreckt.

Dann gibt es noch die drei gängigen Vorwürfe, die im Zusammenhang mit alten Klassikern kommen. „Das kenn ich schon.“ „Das ist mir zu hochgestochen.“ und „Dafür habe ich keine Zeit.“.

Das Erste kommt davon, wie oft ein großartiges Werk in der Pop-Kultur breitgetreten wird. Jeder kennt das trojanische Pferd. Die Trojaner haben ein Pferd aus Holz geschenkt bekommen, in dem sich die Soldaten des Feindes versteckten. Die kamen in der Nacht heraus und eroberten Troja. In tausend Varianten ist diese Geschichte neu erzählt worden oder als Inspiration für andere Geschichten verwendet worden. Wer jedoch glaubt, deswegen die Ilias nicht lesen zu müssen, der liegt vollkommen falsch. In der Ilias steht so viel an antiker Weisheit, dass man sich selbst betrügt, es nicht zu lesen. Ausserdem blamiert er sich vor denen, die es gelesen haben. Denn in der Ilias selbst wird das Pferd nicht erwähnt.

Der nächste Spruch, etwas sei zu hochgestochen kommt immer wieder, aber es kommt immer nur von denen, die es nicht gelesen haben. Entweder, da jemand zu viel Respekt hat vor den Genies der Vergangenheit, oder da er wirklich eine persönliche Abneigung gegen Wissen hat. Letzterem ist sowieso nicht zu helfen, diese Leute bevorzugen es einfach, alle Ihre Fehler selbst zu machen und erst aus dem Schaden klug zu werden.

Der Andere ist glücklicher dran, denn er muss nur seine fehlgeleitete Hochachtung überwinden. Bücher wie Xenophons „Das Gastmal“ und „Erinnerungen an Sokrates“ sind zwar tiefgründig, aber auch einfach zu lesen. Viele moderne Texte sind im Vergleich unnötig kompliziert und haben gleichzeitig weniger zu sagen.

Der Spruch, man habe keine Zeit dafür ist jedoch immer nur eine Ausrede. Louis L’Amour hat selbst von sich gesagt, er habe 1 Jahr lang aufgeschrieben, wie viel er gelesen hat in der Zeit, in der er auf andere gewartet hat. Und ist auf 25 Bücher gekommen.

Mit anderen Worten, es gibt viele Gründe gegen das Lesen von Klassikern, nur eben keine guten. Jeder kann sich das Leben bereichern und versüßen mit Ihnen. Und wer das trotzdem nicht will, darf auch nach seiner Fasson glücklich werden. In einem anderen Zimmer. Geknebelt. Damit Sie beim Lesen nicht stören.

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