Kriegsrat (Kurzgeschichte)

„Erstatten Sie bitte Bericht, Fräulein.“ Der König saß auf seinem Thron, die blattförmige Krone sanft ruhend auf seinen spitzen Ohren, und blickte mit seinem ernsten, doch faltenlosen Antlitz herab zu Elsfaria. Sie richtete sich auf, drückte Ihre Schulterblätter zurück, um eine möglichst stramme Haltung anzunehmen. Obwohl Sie sich noch kurz vor dem Eintreten in den Saal Ihre blonden Haare gemacht und die dunkelgrüne Uniform über dem schlanken, ranken Körper zurecht gerückt hatte ließ ein letzter Funken Selbstzweifel nicht von Ihr ab. Saß die Brosche des Kriegskomitees richtig auf Ihrem Revers? Waren die Unterlagen auf Ihrem Klemmbrett gut genug aufbereitet? Für einen Moment war Elsfaria versucht, mit der Hand nochmals über Ihr Haar zu streichen und dabei über die Kante Ihres spitzen Ohrs zu streicheln. Sie schob den Gedanken beiseite so gut es ging und hoffte, nach Ihrer Pflicht den Raum ohne Tadel verlassen zu dürfen. `

„Vom Verwalter der Waffen ist ein Schreiben eingetroffen. Er ist sehr besorgt, wie er die geforderte Menge an magiedurchwirkten Schwertern bis Ende dieses Monats erreichen soll. Es fehle Ihm einfach an trainierten Zauberern als auch Schmieden im Moment. Und die Qualität der Leistung der jungen Lehrlinge erfülle noch nicht seinen Ansprüchen.“

„Er soll bitte schreiben, woran es den Waffen mangelt. Solange die Gerätschaften Ihren Dienst gut erfüllen, sollten wir momentan über Schönheitsfehler hinwegblicken, auch wenn dabei das Herz eine Kunsthandwerkers blutet.“

Elsfaria machte eine Notiz und nickte.  Ihr war das Dilemma verständlich. Es gab kaum einen im  Land, der nicht stolz auf seine Leistung war und danach strebte, sich in Kunstfertigkeit zu übertreffen. Jeder, der seinem eigenen Anspruch nicht gerecht werden durfte fühlte sich betrogen. Doch es herrschte Krieg. In mancherlei Dingen mussten Kompromisse gemacht werden, bis die Kämpfe geschlagen und Frieden eingekehrt war. Sie wäre auch nie in das Sekretärskorps eingetreten, wenn nicht so viele Männer Ihre Spitzohren aufs Spiel setzen würden im Krieg. Da war es Aufgabe einer jeden Elfe, Ihren Teil beizutragen, die Wipfel und Weiden des Heimatlandes zu schützen. Auch, wenn Sie sich lieber anderen Künsten widmen würde. „General Miguriel der 9. Legion ‚Alabaster‘ hat die Invasoren zurückgedrängt über den Fluss ‚Eirike‘ und übergesetzt mit einer Abteilung. 8 Dörfer mit Ihren Wäldern sind wieder unter unserer Kontrolle. Er beklagt jedoch sehr, dass die Feinde sehr mobil sind. Er kann seine Truppen gar nicht so weit verstreuen, wie unser Gegner durch die Länder streift, ohne deren Sicherheit zu gefährden. Er schrieb, es ist wie in der Sage um den Helden Joturunda, der gegen den tausendköpfigen Schlangendrachen Mocham kämpfte.“

„Er ist ein guter Mann. Die linke Hand soll zu Ihm reisen und Ihn und seine Truppen würdig entlohnen. Eine Flasche Königswein für Jeden und für die, die sich am meisten ausgezeichnet haben im Kampf zwei.“

Wieder nickte Sie und die Feder flog über das Pergament. Die Goblins waren ein gigantisches Problem. Auf weiter Fläche marschierten Sie ein über die Grenze in kleinen Banden, zogen plündernd durch das Land. Wen Sie alleine fanden, den stachen Sie ab. In bewachte Dörfer schlichen Sie sich in der Nacht und stahlen, was Sie konnten. War das Dorf unbewacht, dann marschierten Sie einfach ein, töteten die unaufmerksamen Männer und vergewaltigten die Frauen. Und was die Goblins so gewaltsam an sich gerissen hatten zerlebten Sie, bis von edlen Stoffen nur noch Lumpen übrig waren, bis die letzte Statue zerbrochen, und das letzte Stückchen Edelmetall und Edelstein aus den Fassungen gerissen war und das letzte Buch seinen Tod in einem Ihrer Lagerfeuer gefunden hatte. Es war ein Kampf an tausend Fronten und jedes Mal waren diese Monster schon auf der Flucht, wenn die königliche Armee endlich anrückte. Ein General, der es schaffte, Sie einzukreisen und zum Kampf zu zwingen  war ein wahrlich großartiger Taktiker und verdiente Lob und Ehre. Die Fähigsten führten die Fähigen, die Fähigen die weniger Fähigen. Jeder musste seinen Teil beitragen, jeder sich auszeichnen mit seinen Taten. Vom Großen bis ins Kleine, jeder war verantwortlich für das Wohlergehen und den Erfolg der Elfen unter Ihm und zugleich für das Wohl des ganzen Volkes. So gingen Sie Posten für Posten durch.

Der Krieg war eine titanische Aufgabe, facettenreich ausgestaltet. Man musste jede Kleinigkeit bedenken, vom ersten Elf, der die Zweige eines Baums aberntete, über den Schmied mit seinen Pfeilspitzen und den magischen Anreicherungen bis hin zum Elfen, der den Bogen auf dem Schlachtfeld schnalzen ließ. Eine gigantische Maschinerie, die es zu erhalten gab. Deren Feuer kontinuierlich angeheizt werden musste, wenn es nicht vergehen sollte und das elfische Volk mit Ihm. Sie seufzte leise.

„Was bedrückt dich?“ Die sanfte Stimme des Königs riss Sie aus Ihren Gedanken. Sie errötete. Wie peinlich. „Ich… war gerade in Gedanken.“ Gab Sie verschämt zu. „Wir achteten immer unsere Grenzen, durchschritten Sie nur zum Handel. Warum können das die Goblins nicht? Warum müssen Sie uns berauben, uns töten wenn Sie handeln könnten?“ Der König schwieg. „Ich… Ich meine…“ stotterte Sie unbeholfen weiter, unfähig den Schwall an Worten noch in sich zu halten, wie er in Wellen über Ihre Lippen brach. „Warum hassen Sie uns so sehr? Sie wollen doch nicht mal unser Land, denn Sie nutzen es nicht, bauen nichts an, schaffen keine Werke. Menschen, so sehr mir auch das Herz blutet, wie Sie die Umwelt behandeln….  Sie versuchen wenigstens, etwas mit Ihren plumpen Händen zu schaffen!“ Doch der König schwieg. „Die Menschen… Sie sind dumm. Und gierig. Aber trotz allem Schlechten sind Sie auch zu gutem, zu edlem fähig. Ihre Werke sind kein Vergleich zu unseren, doch immerhin streben Sie danach, etwas Herausragendes zu schaffen. Wenn Ihre Tage auf der blühenden Erde denn nicht so kurz wären, vielleicht würden Sie dann sogar eines Tages uns ähnliches schaffen…. Doch nicht die Goblins. Sie nicht. Sie kommen nur zu plündern und zu zerstören was Sie nicht plündern können. Alles wollen Sie in den Abgrund reissen und zu wüster Ödnis wandeln… Selbst wenn wir Ihnen freiwillig Geschenke geben, wenn wir versuchen Ihnen zu helfen… Sie haben nur Verrat in Ihren kalten, kleinen Seelen und nutzen jede Gelegenheit, Elfen zu töten. Denn wenn wir Sie alleine finden, dann zeigen Sie so viel Reue und schwören bei allem, nur noch Gutes zu tun. Doch wenn sich ein paar einem Ort versammeln, so reuselig ein jeder von Ihnen vorher war, sobald Sie sich in einer Gasse, auf einem Weg plötzlich in der Überzahl zu uns finden ist alles vergessen und Sie greifen uns hinterrücks an. So viele edle Elfen, die sich für diese Monster aufgeopfert hatten, nur um als Dank ein Messer im Rücken zu spüren. Und unsere edlen Frauen…“

Sie musste würgen, hielt sich die eine Hand vor Ihren Mund, als könnte Sie die Schande der Worte damit verdecken, während sich Ihr anderer Arm gegen Ihren Bauch presste und dessen Hand das Klemmbrett schmerzhaft in Ihre Seite drückte. „…ja sogar unsere kleinen Töchter, noch so jung an Jahren, vergew… ver…“ Sie brachte es nicht fertig, das Wort zu beenden „…schänden Sie, um Ihre Brut zu vermehren…. bis Sie unseren versklavten Schwestern nach der Geburt Ihrer Höllenbrut müde werden und Sie umbringen. Teils sogar schon der Geburt.“ Ihr Blick glitt zur Seite, beschämt der düsteren Wahrheiten, die Sie aussprach. Doch wieder ergriff Sie das Wort, die Augen weiterhin hinab gerichtet auf das so kunstvolle Bodenmosaik, dessen Schönheit Ihr Herz nicht mehr berühren konnte. „Warum können Menschen noch etwas Gutes in sich bergen und die Goblins garnichts? Es ist nicht Gier, nicht Lust, was Sie antreibt, uns das anzutun. Nur Hass. Warum hassen Sie uns so sehr?“ Doch der König schwieg. Und so schwiegen Sie einander an, alleine im stillen Saal. Keiner richtete den Blick an den anderen, keiner bewegte sich. Das Leben, es schien still zu stehen, während sich die Zeit ins unendliche dehnte, Vergangenheit und Zukunft ineinander zu verschwimmen schienen.

Dann brach der König sein Schweigen. Sein Blick wandte sich Ihr zu und seine schwermütigen Augen suchten den Kontakt zu Ihren, wie er von seinem Thron; so nahe und doch endlos abgerückt; zu Ihr hinabsah. „Sie hassen uns, da wir Ihr Spiegel sind. Sie wollen unsere Schätze, unsere Bauten, unser Land. Doch viel mehr als jeder Wunsch, das Eigentum anderer zu besitzen, das doch so viel einfacher zu stehlen als zu erbauen ist, treibt Sie der Hass auf das, was Sie nicht sind. Was Sie uns stehlen wird nicht in Ihren Händen zerrinnen, denn Sie werden es selbst zerstören. Was Sie anfassen verdorrt, denn Sie wollen ernten ohne zu säen. Um etwas zu erschaffen, muss man jeden Tag aufs Neue etwas tun. Wir üben uns jeden Tag in unseren Fähigkeiten, denn unser Stolz ruht in unseren Werken. Den Berg der Perfektion bis zur Spitze zu erklimmen macht uns glücklich. Wir können gar nicht anders, müssen uns selbst schleifen, in Geist und Seele und Körper, um nicht zu verzagen. Doch diese… Wesen, Sie wollen nichts tun, nur genießen. Sie leben Ihre verdorbenen Leben wie Sie leben wollen und wenn Sie etwas in Ihre Finger bekommen verbrauchen Sie es sinn- und verstandeslos im Rausch des Genusses, bis Ihre Hände so leer sind wie zuvor. Und Sie sind stolz. Dumm, doch stolz auf sich selbst. Sehen in sich das großartigste, was die Natur hervorgebracht hat. Doch wenn Sie uns sehen, unsere Werke sehen keimt in Ihnen der Hass. Denn Sie verstehen nicht, warum wir all das besitzen, warum wir diese Werke haben. Sie sehen nur Ihre leeren Hände und hassen uns dafür, dass die unsrigen so voll sind. Unsere Existenz allein ist Ihnen zuwider, denn in uns sehen Sie all das, was Sie in Ihrer Ignoranz niemals selbst erschaffen werden.“

Er machte eine Pause.

„Sie wollen nicht so sein wie wir. Sie wollen nicht erschaffen wie wir. Sie wollen nichts erreichen wie wir. Sie wollen nur im Genuss verbrauchen, was wir erschaffen haben und hassen uns dafür, dass wir es haben und nicht Sie. Das ist der Grund, warum es keinen Frieden zwischen uns gibt. Das ist der Grund, warum Sie uns angreifen, egal wie viel wir Ihnen geben. Das ist der Grund, warum Sie nicht eher ruhen werden, bis Sie den letzten von uns getötet und das letzte unserer Werke auf den letzten Stein herabgeschliffen haben. Damit nichts Sie mehr daran erinnert, dass es etwas gibt, das besser ist als Sie selbst.“

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